FPG140 – Zurück an die Arbeit – Interview mit Lars Vollmer
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In Podcastfolge 45 hatte ich Lars Vollmer schon mal interviewt. Titel der Folge: „Warum Führungskräfte in komplexen Situationen versagen!“
Wir unterhielten uns darüber, warum Führungskräfte in komplexen Situationen versagen!
Heute spreche ich mit Lars Vollmer darüber, warum seiner Meinung nach in unseren Unternehmen zu wenig gearbeitet wird.
Lars Vollmer
Er ist promovierter Ingenieur, Honorarprofessor, Unternehmer und Begründer von »intrinsify.me«, dem größten offenen Thinktank für die neue Arbeitswelt und moderne Unternehmensführung im deutschsprachigen Raum.
Sein neustes Buch lautet:
„Zurück an die Arbeit – Back To Business: Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden.“
Darin bemängelt Lars Vollmer, dass Mitarbeiter und ihre Chefs in den meisten Unternehmen mehr als die Hälfte ihrer Zeit mit Tätigkeiten verbringen, die zwar wie Arbeit aussehen, aber keine Arbeit sind: Meetings, Jahresgespräche, Budgetverhandlungen, Reports, Genehmigungsprozeduren, PowerPoint-Präsentationen und, und, und.
Er bezeichnet das als Business-Theater, das keine Wertschöpfung erzeugt, nicht dem Kunden dient und damit nur eines ist: Verschwendung!
Was kann man dagegen tun? Genau darüber spreche ich heute mit ihm im Interview:
Transkribiertes Interview mit Lars Vollmer
Geropp:
Warum wird denn Deiner Meinung nach in den meisten Unternehmen zu wenig gearbeitet? Ich hätte eher gedacht, dass da zu viel gearbeitet wird.
Vollmer:
Naja, ich meine ja mit zu wenig arbeiten nicht, dass man jetzt länger arbeiten soll, also das die Zeit zu kurz ist, sondern was ich beobachte ist, dass ganz viele Menschen in den Unternehmen ja förmlich von der Arbeit abgehalten werden.
Dazu muss man natürlich mal ganz kurz sagen, was meiner Ansicht nach Arbeit ist, um da ein Bonmot von dem Reinhard Sprenger zu benutzen,
„Arbeit ist Arbeit für andere, sonst ist es nur Beschäftigung.“
Also es geht mir darum, dass wir nur das, was wir für Kunden, für vielleicht potenzielle Mitarbeiter, im Zusammenspiel mit Lieferanten, eben mit der Umwelt tun, nur DAS als Arbeit zu bezeichnen.
Und wenn ich jetzt mit diesem Blick in Unternehmen gucke, dann fallen mir dort ja fast schon HUNDERTE von Praktiken auf, in die die Menschen eingebunden sind, nehmen wir Meetings, Mitarbeitergespräche, Budget-Runden und so weiter, die aber eben tatsächlich überhaupt nichts mit der Umwelt zu tun haben, geschweige denn mit dem Kunden, und deswegen KEINE Arbeit sind.
Geropp:
Da wären dir wahrscheinlich manche sagen:
„Naja, wir brauchen das aber, weil wir sonst unseren Kunden nicht nutzen können. Wir müssen uns ja organisieren.“
Das siehst du aber anders. Du siehst das mehr, was da teilweise gemacht wird, ich kann das auch nachvollziehen bei vielen Sachen mit den Budget-Runden, du siehst das ja mehr „das ist eigentlich Theater spielen. Das ist nicht wirkliches Arbeiten“.
Vollmer:
Na es selber ist vielleicht kein Theater spielen, aber es ERZEUGT sehr artifizielles Verhalten und dem habe ich eben diesen Begriff „Businesstheater“ gegeben, weil es dann irgendwie ein bisschen eingängig ist.
Viele dieser Praktiken kommen ja aus einer ganz anderen Zeit. Und mit der Begründung von damals kann man sicherlich vielen Praktiken zustimmen, wenn die Welt tatsächlich planbar ist und die Idee, die Kreativität von einzelnen Menschen tatsächlich keine Rolle spielen.
Und zur Blütezeit der industriellen Revolution war das so. Dann konnte man mit diesen Praktiken tatsächlich die Effizienz, die Gesamt-Effizienz des Unternehmens erhöhen. Insofern haben sie ihre Berechtigung GEHABT. In den heutigen Umfeldern aber wirken sie eben deswegen so artifiziell, weil sie mit der tatsächlichen Realität so wenig zu tun haben.
Und nur deswegen wird ja Theater gespielt. Also ein Mitarbeiter/ Wenn ein Chef mit seinem Mitarbeiter spricht, dann entsteht ja nicht sofort Theater. Die können ja ganz normal miteinander sprechen.
Theater wird es ja erst, wenn sie eine Checkliste von HR vorgestellt bekommen, die jedes halbe Jahr geändert und erweitert wird im 360-Grad-Feedback und wo Fragen draufstehen, die für die beiden überhaupt nicht relevant sind in ihrer Zusammenarbeit, deren Bearbeiten sie aber ja quasi nachweisen müssen, weil sonst sowohl der Mitarbeiter als auch der Chef wohl möglich eine förmliche Rüge von HR bekommt. Und DANN wird es eben Theater. Und das gibt es bei allen Praktiken im gleichen Maße.
Geropp:
Das ist also quasi, was häufig als administrativer Overhead von vielen auch, „wir ertrinken in Dokumentationen und solchen Sachen“ gesehen wird? Richtig?
Vollmer:
Ja. Exakt. Also man ertrinkt, weil diese Praktiken nicht mehr zu der Umwelt, in der sich Unternehmen bewegen, passen, und dann wird es Theater.
Geropp:
Jetzt schreibst du in deinem Buch, Schuld daran sind aber nicht die Führungskräfte, auch nicht die Unternehmenskultur und auch nicht der von dir eben ja angesprochene Taylorismus. Ja, wer oder was ist denn dann daran schuld?
Vollmer:
Ja. Und auch die Mitarbeiter nicht. Also das ist ja ein weit verbreiteter Reflex fast schon, dass die Chefs die faulen und nicht verantwortungsbewussten Mitarbeiter in die Pflicht nehmen wollen. Und andere Literatur über die bösen Chefs sprechen.
Aber so ein Verhalten ist, man könnte technisch sagen, systemimmanent. Also sowas, wie wenn ein fast schon erwachsener Mensch zu Oma zu Weihnachten geht. Dann entsteht so ein Verhalten, ohne dass es überhaupt einer will. Oma will nicht. Das Kind will nicht. Die Eltern wollen auch nicht.
Und trotzdem entsteht so eine ganz diffuse, so ein diffuses Gefühl in der Magengegend und man fängt an, sich ganz, ganz lautstark über die doch so tollen Plätzchen zu echauffieren, die einem überhaupt nicht schmecken, schon seit Jahren nicht. Aber man weiß genau, dass die Eltern es erwarten. Und die Eltern erwarten es, weil sie glauben, dass die Oma es erwartet.
Also diese Muster, die in solchen sozialen Systemen entstehen, die handelt man sich ein. Die hat keiner willentlich erzeugt. Und so ist es auch in Unternehmen, in Teams, in Abteilungen, in ganzen Unternehmen. Und deswegen lässt sich schon mal dem einzelnen Menschen nicht die Schuld dafür in die Schuhe schieben.
Des Weiteren liegt es auch nicht am Taylorismus, weil wie ein Hammer dazu mal erfunden wurde, Nägel reinzuhauen in die Wand und nicht etwa Schrauben reinzudrehen, so hat der Taylorismus an sich Schuld an gar nichts.
Der ist sowas wie ein Werkzeug, eine Technologie, eine Sozialtechnologie, die zu einer Zeit, zur Blütezeit der industriellen Revolution nämlich, erfunden wurde, wo sie leistungsfähiger war, als alles andere, was vorher da war. So. Und das, wieso sollte man ihr das vorwerfen dürfen. Sie passt nur nicht mehr in die heutige Zeit, weil Märkte heute anders sind. Deswegen ist es zu einfach, da Mitarbeitern, Chefs oder einfach dem Taylorismus die Schuld zu geben.
Geropp:
Gut. Wer oder was ist denn jetzt daran schuld? Ich meine, da funktioniert ja was nicht.
Vollmer:
Ja, wie gesagt, was vielleicht fehlt, ist ein detailliertes Reflektieren über das Organisationswerkszeug, was sich ein Unternehmen schnappt, ZUR Umwelt und zur eigentlichen Aufgabe, die es zu lösen gilt. Und wenn die nicht zueinander passen, wie der Taylorismus in hochdynamischen Märkten, dann entsteht ja dieses Theater.
Und da ist, glaube ich, durchaus diese Reflexion gefragt und darauf zu verzichten, ein Blaupause für eine Organisation wie dem Taylorismus, zu nehmen, sondern sich sehr dezidiert anzuschauen:
„Was für eine Aufgabe habe ich hier eigentlich zu bewerkstelligen? WARUM brauche ich eigentlich Zusammenarbeit?“
Sonst könnte man es ja alleine machen.
„Und wie genau muss ich jetzt für DIESE Aufgabe Zusammenarbeit organisieren?“
Nicht „wie macht Siemens oder wie schreibt es das BWL-Studienbuch?“, was vor 60 Jahren aufgelegt worden ist, sondern,
„Was brauche ich denn jetzt gerade an dieser Stelle?“
Und da ist halt ein Gartenbaubetrieb anders als ein Verlag und anders als eine Event-Agentur und anderes als ein Maschinenbauer. Und selbst innerhalb des Unternehmens gibt es auch wieder zig verschiedene Aufgaben, die eine unterschiedliche Organisation erfordern.
Geropp:
Okay. Wenn ich das, also ich versuche ja rauszukriegen, „was muss verändert werden“. Ich verstehe, dass DAS, was nicht funktioniert, nicht funktionsfähig ist in einem solchen Unternehmen, dann heutzutage, ist die jeweilige Organisation, weil sie nicht an den Markt angepasst ist. Verstehe ich dich da richtig?
Vollmer:
Ja. Das könnte man so sagen.
Geropp:
So, dann würde ich aber den nächsten Schritt geben,
„Okay, und WER muss das machen? Wer muss das Unternehmen so verändern, DASS es passt?“
Vollmer:
Naja, es braucht dazu immer, und ich vermute mal darauf willst du hinaus, es braucht formale Macht, um Organisationen zu verändern. Und formale Macht ist mit der klassischen Betrachtungsweise an der Spitze der tayloristischen Pyramide.
Es sind also Führungskräfte oder gar Inhaber, die die formale Macht haben, eine Organisation zu verändern. Und da müssen wir sicherlich diese Intelligenz schaffen, diese Sichtweise zu schaffen, auf genau diesen Punkt zu gucken, den wir gerade diskutiert haben. Aber deswegen werde ich denen nicht die Schuld geben. Also sie sind eben genauso Teil des Problems, wie alle anderen im Unternehmen, aber, und das ist glaube ich der springende Punkt, sie sind der größte Teil der Lösung.
Geropp:
Oder sagen wir es mal so: „Ohne sie geht es ja gar nicht, weil sie die formale Macht haben, ne?“ Also WENN, muss eine Veränderung von denen ausgehen.
Vollmer:
Richtig. Ja, sie muss auch nicht zwingend von ALLEN getragen werden, und es gibt durchaus Formate von Veränderungen, wo es nicht alle dazu braucht, und es braucht keine gemeinsame Übereinstimmung.
Also es gibt schon auch Veränderungsformate, die über Art von Experimentieren, also INTELLIGENTES Experimentieren funktionieren. Und dann muss nicht jeder einverstanden sein. Aber es bleibt dabei:
„Ohne formale Macht passiert nichts.“
Geropp:
Du schreibst, bisher hieß die interne Referenz „Planumsatz erreichen“. Und jetzt heißt die interne Referenz: „Sei gut zu den Menschen und behandel sie auf Augenhöhe“.
Das klingt humanistischer, aber es fehlt genauso der Bezug zum außen, zum Markt, wenn ich dich richtig verstehe. Da gehst du auch so ein bisschen in die Richtung, weil viele ja sagen, „ja, wir müssen weg vom Taylorismus, New Work ist die richtige Ausrichtung.“ Und da bist du nur zum Teil mit einverstanden. Vielleicht kannst du da ein bisschen Näheres zu sagen, was du genau da meinst.
Vollmer:
Ja gerne. Kurz erläutern würde ich noch mal, was ich mit externer Referenz meine. Ich meine damit Probleme, die von außen auf ein Unternehmen einprasseln, und die das Unternehmen nicht ignorieren kann.
Eine ganze Menge Probleme KANN es ja ignorieren und manche muss sie eben einfach BEHANDELN, muss sie BEARBEITEN. Wenn ein Wettbewerber für ein ganz ähnliches Produkt eine viel höhere Qualität zum gleichen Preis anbietet, dann kann mich das als Unternehmen nicht kalt lassen. Dann muss ich darauf reagieren.
Geropp:
Wenn ich dich richtig verstehe, heißt das, das Entscheidende ist, dass ich auf diese externe Referenz achte und alles, was in meinem Unternehmen, vor allem die Organisation angehe, darauf ausrichte. Das ist, wenn ich dich richtig verstehe, das Wichtige.
Vollmer:
Genau. Wobei das versteht selbstverständlich jeder deiner Hörer und hat auch schon vor 50 oder 70 Jahren jeder verstanden. Was aber lange Zeit getan werden konnte, ohne dass es größere Probleme gab, diese externe Referenzen in interne Referenzen quasi zu übersetzen.
Also was dann hieß, die Qualität ist das, was der Kunde einschätzt, wird eine interne Referenz, die da heißt, wir müssen diese sieben Prozessparameter sehr genau überprüfen, und dann das, was rauskommt, wird dem Kunden schon gefallen.
Also aus einer Anforderung, die nur der Kunde bewertet, wird ein Prozess. Also das ist ein Ersetzungsvorgang von der externen Referenz in die interne.
Es funktioniert immer dann gut, wenn die Märkte träge sind. Wenn aber nun diese Anforderungen sehr, sehr schnell wechseln, wenn ständig neue hinzukommen oder wieder wegfallen, dann ist dieser Übersetzungsprozess viel zu langsam, und dann passen die internen Referenzen im Tagesgeschäft nicht mehr zu den externen.
Das ist so eine Art von Schizophrenie, mit dem ein Unternehmen lebt, wenn es eben so viel Wert auf die internen Referenzen legt. Die sind IM WEG heutzutage in vielen Unternehmen. Das ist die Kernbotschaft des ersten Teils deiner Frage.
Nun gibt es diese so humanistische Bewegung der Arbeitswelt, an der ja erstmal per se überhaupt nichts Schlechtes zu finden ist, aber sie läuft irgendwie Gefahr, neue interne Referenzen aufzubauen. Wie du schon gesagt hast. Also es geht AUCH wieder nicht darum, das Richtige für den Kunden zu tun und es richtig zu tun, sondern es wird eine neue interne Referenz aufgebaut, die zum Beispiel heißen könnte: „Unseren Mitarbeitern muss es richtig gut gehen“.
Der Fehler liegt darin, dass so die eine interne Referenz durch eine andere interne Referenz ersetzt wird. Und es führt WIEDER, genau wie früher, dazu, dass man die externe Referenz, die Kundenprobleme, ein Stück weit aus dem Blick verliert, und dadurch verdummt ein Unternehmen systematisch. Und deswegen ist die GEFAHR, und das ist noch nicht mehr und nicht weniger als eine Gefahr an der New-Work-Bewegung, dass sie das Verdummen von Organisationen eher fördern als lindern. Und das finde ich sehr schade.
Geropp:
Das heißt, New Work an sich ist erstmal etwas sehr Positives für den Menschen, aber eigentlich für ein Unternehmen ist es erstmal wichtig „ist es nützlich für den Kunden?“ Wenn es nützlich ist, dann ist es okay. Verstehe ich dich da so richtig, so hart formuliert?
Vollmer:
Ja. Genau. Also die wichtige Frage, die man, meiner Ansicht nach, immer stellen sollte, wenn man eine neue Praktik, einen neuen Ansatz, heißt der nun New Work oder Industrie 4.0 oder irgendwas oder Arbeiten 4.0 ist eigentlich ganz egal, mit welchem Etikett der versehen ist, aber wenn eine solche neue Praxis, eine neue Methode Einzug finden soll, muss die erste Frage meines Erachtens immer eigentlich lauten, räumt sie denn irgendeine Barriere weg, die der Wertschöpfung im Wege steht? Also dient sie der Wertschöpfung?
Wenn nicht, ist es vielleicht ein bisschen Sozialhygiene. Was nicht schlecht sein muss. Aber man darf nicht glauben, dass sich damit das Unternehmen substanziell verbessert. Das ist die Gefahr, die ich sehe. Nicht per se mit New Work, sondern es gilt einfach auch hier wieder natürlich, eine sehr klare Differenzierung vorzunehmen.
Geropp:
Gut. wenn ich das richtig verstehe, ist es ja so, dass ich in SEHR vielen Unternehmen immer mehr herausbildet, dass man mit dem reinen Befehl und Gehorsam nicht weiterkommt.
Wir brauchen Leute, die auch eigene Ideen entwickeln, selbständig arbeiten, um eben schnell genug auf komplexe Sachen reagieren zu können. Und dann wird wieder ein Schuh draus aus dem New Work, weil es dann wirklich zu einer Verbesserung auch des Kundennutzen führen kann. Verstehe ich das richtig?
Vollmer:
Da stimme ich Dir zu. Obgleich es ja immer noch eine ganze Menge von Aufgaben zu bewältigen gibt, für die Befehl und Gehorsam nicht nur kein Problem darstellt, sondern vielleicht sogar nützlich ist.
Also wenn ich in ein Flugzeug einsteige, bin ich sehr, sehr dankbar, dass der Kapitän eine Checkliste hat, um die Flugtauglichkeit zu prüfen. Und wenn er die nicht einhält, dann kriegt der, und darüber bin ich sehr glücklich, richtig auf die Finger und verliert wohl möglich seinen Job. An dieser Stelle ist Befehl und Gehorsam extrem wichtig.
Wenn aber das Flugzeug in irgendwelche schwerwiegenden Turbulenzen käme oder es technische Probleme kommt, und dann müsste der Kapitän ausschließlich Befehle von jemandem annehmen, der überhaupt nicht mit im Flugzeug sitzt, und könnte überhaupt nicht seinem eigenen Fluggefühl, seiner Flugerfahrung gehorchen können, dann hätte ich wieder große Sorgen.
Also es gibt einfach verschiedene Formen von Aufgaben und für manche, und das werden natürlich weniger langsam, ist Befehl und Gehorsam sehr, sehr hilfreich.
Es lässt sich wahrscheinlich in Zukunft alles automatisieren, und für viele Aufgaben mehr. Wahrscheinlich gerade die, die ein Unternehmen heute von anderen unterscheidet, kommt es nicht mehr auf reine Effizienz an, sondern auf Ideen. Und Ideen haben nur Menschen, keine Prozesse und keine Methoden können Ideen generieren. Nur Menschen. Und deswegen kommt es wieder auf den Menschen an. Ohne Frage.
Geropp:
Du hast in deinem Buch einen Satz, der mir sehr aufgefallen ist. Da schreibst du:
„Wenn Menschen im Unternehmen nicht wie Menschen miteinander reden, dann gehört diese Tätigkeit nicht zur Arbeit, dann ist es Theater.“
Ich habe darüber ein bisschen nachgedacht. Und meine Frage an dich ist, brauchen die Menschen nicht unter Umständen zumindest ein gewisses Maß an Theater?
Vollmer:
Also, ja ich tue mich schwer mit dieser Aussage. Ich kann mir gut vorstellen, nein, ich bin mir sogar sicher, dass Theater nie vollständig aus Unternehmen herauszutreiben ist. Aber ich bin mir schon sicher, dass die Menschen an sich Theater nur dann spielen, wenn sie denken, es sei jetzt erforderlich.
Nicht, weil es ihnen unglaublich viel Spaß bereitet. Und ich kenne auch die Leute, bei denen man manchmal, wenn man ein bisschen müde ist, auf einmal glaubt oder denkfaul ist, dann auf einmal glaubt, der sei so. Er wolle sich doch gerne jetzt hier als Chef an die Spitze des Tisches setzen und alle um Ruhe bitten, um quasi seiner Persönlichkeit nachzukommen und irgendeinen Machtanspruch auszuspielen.
Da bin ich skeptisch, obgleich ich natürlich weiß, dass Motive von Menschen sehr unterschiedlich sind, aber ich würde eher vermuten, er wird durch die Struktur, durch die formale Struktur des Unternehmens, in diese Verhaltensweise auch ein Stück weit getrieben. Und der redet zu Hause nicht so und mit seinen Kumpels.
Und wenn es um echte Probleme geht, die man schnell lösen muss, dann redet der auch nicht so. Nur im Unternehmen redet der so. Das ist für mich ein Indiz, nicht mehr und nicht weniger. Wenn Menschen gestelzt auf einmal anfangen zu reden, wie eben auf irgendeiner Bühne, dann scheint es um was ganz anderes zu gehen, als nur um das Problem, was es zu lösen gilt. Und das mag menschlich sein, aber Wertschöpfung ist es nicht. Und es ist Verschwendung. Keine Arbeit.
Geropp:
Lars, wie gelingt es denn, aus einem theaterreichen Unternehmen ein theaterarmes Unternehmen zu machen?
Vollmer:
Na, den Ansatz habe ich versucht, vorhin schon mal ganz kurz anklingen zu lassen. Ich muss mich wieder auf den eigentlichen Grund für Zusammenarbeit zurückbesinnen.
Ein Unternehmen ist ja immer für Zusammenarbeit gegründet worden, sonst hätte man es alleine machen können. Es gab also schon immer eine Aufgabe, die es zu bewerkstelligen gab, die man alleine nicht hinkriegt, und zwar entweder, weil man mehrere Hände brauchte oder weil man verschiedene Expertisen brauchte und verschiedene Ideen brauchte. Und hier, glaube ich, müssen wir ansetzen gedanklich und müssen uns fragen:
„Was ist für wen und für was eigentlich brauchen wir die Zusammenarbeit?“
Und müssen aus dieser Sicht heraus anfangen, Organisation zu betreiben. Und nicht aus der Sicht „wie macht man das typischerweise?“ Also nicht aus der Blaupause heraus anfangen zu denken, sondern dadurch echte Zusammenarbeit, so hatte ich es genannt, schaffen, indem ich mich voll auf die Aufgabe, der Terminus Technicus wäre wieder die externe Referenz, beziehe, daraus Organisation erzeuge.
Deswegen gibt es, meines Erachtens nach, genauso viele Organisationsformen, wie es Aufgaben gibt. Es müsste so unglaublich vielfältig sein, was wir an Organisation sehen, weil es um so viele Aufgaben geht, dass wir Bibliotheken bräuchten, um alle Formen zu beschreiben.
Vielmehr aber haben wir beide ja den Eindruck, dass man sich tausend Unternehmen angucken könnte, und sie sind im Kern alle gleich organisiert. Also das ist, glaube ich, der Dreh, den wir hinkriegen müssen. Wir müssen von der Blaupause weg, von Rezeptdenken weg.
Geropp:
Also wenn ich dich richtig verstehe, heißt das, einfach mal sagen „okay, WAS will der Kunde jetzt genau? Und können wir unsere Organisation einfach mal anpassen, einfach mal ausprobieren? Im Kleinen erstmal. Und wenn es nicht geht, probieren wir was Neues.“ In dieser Art vorzugehen, ja? Trial and Error.
Vollmer:
Naja, nein, Trial and Error würde ich nicht sagen, und wir denken ja gerade auch schon auf zwei verschiedenen Gebieten. Das eine ist ja, wie komme ich ja von dem einen zum anderen. Also wie funktioniert Change? Das ist noch mal eine andere Frage, nach welchem Leitmotiv Organisationen gestaltet werden sollten.
Und das war was, worauf ich den Schwerpunkt gelegt habe, nämlich das Leitmotiv ist „für WAS arbeiten wir eigentlich zusammen? Und mit WEM arbeiten wir eigentlich zusammen? Welches sind denn jetzt die Leute in unserem Team? Welche Könner brauchen wir denn? Wofür brauchen wir denn Ideen? Und wie müssten wir für diese Aufgabe richtig zusammenarbeiten?“ Das ist die Leitidee quasi der Arbeit, der echten Arbeit, die ich in dem Buch vorschlage.
Geropp:
Also erstmal geht es um das große Ganze,
„Wozu tun wir eigentlich das, was wir tun?“
Vollmer:
Ja, aber ein Unternehmen, dazu muss es noch gar nicht zig tausende Mitarbeiter haben, hat ja viele Aufgaben. Und deswegen muss diese Frage auch an vielen Stellen gestellt werden und es muss an vielen Stellen unterschiedliche Antworten erlaubt sein.
Geropp:
Das heißt, da geht es auch mehr in die Richtung, möglichst viel Selbstverantwortung nach unten und in eine Art Dezentralisierung zu gehen?
Vollmer:
Ja, insbesondere da, und das hatten wir vorhin schon in unserem Gespräch, wo es viele Ideen braucht. Wo die Impulse vom Markt sehr schnell ändern. Wenn ich in einem Callcenter sitze oder in einem Servicebüro, und dann kommt ein Kunde und hat eben ein technisches Service-Problem, was ich so in dieser Form noch nicht hatte,
Dann wäre es fatal, wenn es jetzt eine Kaskade von Anträgen und Gremien gäbe, die diese Frage behandelt, sondern idealerweise muss der Mitarbeiter noch am Telefon oder zumindest mit dem Team direkt an seinem Tisch sofort überlegen können „was ist jetzt das Beste, um dieses eine Kundenproblem zu lösen? Haben wir eine Idee, wie man das tun kann?“ Es war ja noch nicht da. Deswegen ist ja auch kein Prozess da.
Also an der Stelle ist höchste Dezentralisierung erforderlich. An den anderen Stellen, wo also Wissen bereits vorhanden ist, nehmen wir zum Beispiel die Buchhaltung eines Unternehmens, auch dort passieren Überraschungen, aber natürlich viel, viel weniger als am Service-Telefon.
Dort ist der Grat der Dezentralisierung überhaupt gar nicht das Ausschlaggebende. Also ich würde nicht in Dezentralisierung und Zentralisierung reden, sondern eher in hochkomplex und niedrigkomplex oder sehr dynamisch, weniger dynamisch oder wie wir es etwas technischer ausdrücken, Alltag und Innovation.
Da ist sicherlich eine interessantere Unterscheidung zu machen, weil sonst schwimmt ein Unternehmen immer nur zwischen diesem Dezentralisierungswahn in einen Zentralisierungswahn hin und her. Das beobachten wir ja beide immer so. Im zehn, zwölf Jahres-Turnus schwingt das Pendel so hin und her.
Geropp:
Wo ich mich ein bisschen schwer tue, ist zum Beispiel dann, wenn man jetzt sagt: „Hey, wir müssen was verändern.“ Nach dieser Argumentation ist Reisekostenabrechnung nicht veränderbar. Braucht man nichts zu verändern, da gibt es ja genaue Regeln und das hat, war alles bisher richtig. Dem würde ich ja widersprechen.
Vollmer:
Ich auch.
Geropp:
Da kriege ich ja Pickel, wenn ich die großen Unternehmen sehe, da 30, 50, 100 Seiten nur eine Reisekostenverordnung.
Vollmer:
Ja, genau. Denn – und vielleicht ist das die Brücke, die ich schlagen mag – der Grund für eine Reise und der tatsächliche Ablauf, der ist ja hoch dynamisch. Und wenn ich nun als Vertriebsmitarbeiter von Ost-Westfalen nach Venezuela reise, weil ich dort einen großen Auftrag holen will, und der Kunde ruft mich spontan an, er hätte jetzt einen guten, tragbaren Vorschlag, dann nehme ich den nächsten Flieger, den ich kriegen kann, und dann komme ich auf einmal in New York am Flughafen an und merke, ich muss vom JFK umsteigen zum anderen Flughafen. „Ach das schaffe ich nur, wenn ich ein Taxi nehme.“
Dann muss das halt so sein. So und dann muss ich dem Vertriebsleiter die Möglichkeit einräumen, diese Entscheidung selbstbestimmt tragen zu können. Wenn der hinterher mit einem Auftrag über 20 Millionen wieder zurückkommt und ihm dann die Reisekostenstelle die Frage stellt, warum er denn das Taxi anstatt den Bus genommen hat, dann entsteht ja Zynismus.
Eine Reisekostenabrechnung – naja, also das Formblatt, in dem man das hinterher einträgt, das kann sehr hilfreich sein, um dieses sehr, ja sehr routinehafte Abarbeiten der Übertragung in irgendwelche Kostenstellen zu erleichtern, da ist wahrscheinlich ein Formblatt gar nicht so unpraktisch.
Aber die Regelung, wann welches Verkehrsmittel genommen wird, ist meistens mit der dynamischen Aufgabe, eine Reise zu bewältigen, überhaupt nicht zu vereinbaren. Und da bin ich bei Dir.
Reisekosten-Richtlinien gehören in die Mülltonne fast überall. Eine vereinfachte und vielleicht auch standardisierte Abrechnung, dass das möglichst schnell geht, halte ich für/ das will ja auch jeder so. Es will keiner eine umständliche Reisekostenabrechnung machen.
Geropp:
Richtig. Du hast das, glaube ich, auch irgendwo schön beschrieben. Es geht dabei dann eigentlich nicht um Regeln, sondern man sollte einige Grundprinzipien aufstellen und dann darauf vertrauen, dass die Leute auch sich an die Prinzipien halten.
Vollmer:
Vor allen Dingen, dass Prinzipien verhandelbar sind im Unternehmen. Also Prinzipien erzwingen ja, dass man selber denkt. Also es gibt so ein ganz berühmtes Prinzip bei Aldi, das heißt „Wir sind sparsam.“
Wenn jetzt aber eine Filiale eine Ameise kaufen will, dann steht in diesem Prinzip drin nicht, welche Ameise die kaufen sollen. Jetzt muss man selber nachdenken. Was ist denn sparsam? Sparsam ist weiß Gott nicht immer das Billigste. Das weiß jeder bei Aldi.
Deswegen muss man jetzt nachdenken. „Was haben wir für ein Problem? Wie viel Platz haben wir? Wie lange dauert das? Wie lange können wir warten?“ Hunderte Fragen stellt man sich, um selbständig dann eine Entscheidung zu treffen.
Und ein Prinzip bleibt dann TROTZDEM diskussionswürdig. Und das ist deswegen wichtig, weil man daran lernen kann. Also mit Prinzipien kann man sowohl Verantwortung erhöhen als auch lernen. Beides Eigenschaften, die mit Regeln überhaupt nicht zu machen sind.
Geropp:
Ja. Das leuchtet mir ein. Das finde ich sehr gut. Lars, meine letzte Frage ist die: „Bei großen Konzernen, die jetzt sehr stark Taylorismus-mäßig noch unterwegs sind, und da gibt es ja die diversen…
Vollmer:
Oh ja.
Geropp:
Glaubst du wirklich, dass die sich in der nächsten Zeit erfolgreich weg von dieser tayloristischen Denke verändern können? Werden die überrannt von neuen Unternehmen, weil sie einfach sich nicht adaptieren können oder schaffen die das?
Vollmer:
Also ich will da zweiteilig drauf antworten. Der erste Teil der Antwort ist:
„Solche Transformationen KÖNNEN gelingen und es KANN jedes Unternehmen schaffen.“
Nicht garantiert, aber es ist möglich. Und deswegen, und ich glaube, so habe ich es in dem Buch auch geschrieben, fände ich es zynisch, einfach solche Unternehmen nur abzuschreiben.
Denn es geht schließlich um zig, zig tausende Menschen und Familien, die dort Arbeit haben und das kann man nicht einfach aufs Spiel setzen, nur weil es so schwierig erscheint, eine Transformation.
Transformation ist möglich und darf deswegen in Angriff genommen werden. Gleichzeitig aber, und da bin ich auf deiner Linie, habe ich meine Zweifel, dass das alle tun und alle schaffen. Auch wenn ich es mir wünsche, habe ich die Vermutung, dass an vielen Stellen, wir beobachten das ja auch immer wieder mal, dass einfach neue Wettbewerber so viel schneller agieren, und die etablierten Unternehmen gerade DURCH ihre Struktur so langsam reagieren, dass es irgendwann ganz schnell zu spät ist.
Zuerst lacht man ja dann über irgendeine neue Innovation.
„Hahaha! Elektroautos!“
Das ist dann lustig am Anfang. Und irgendwann fängt man dann an zu motzen:
„Also sollte man nicht mehr hier diese schwarzen Taxis da, das muss man da doch mal regulieren.“
Das sind so Muster, habe ich den Eindruck.
„Erst lacht man über eine Innovation, dann schimpft man. Aber wenn man dann schimpft, dann ist es eigentlich schon zu spät.“
Dann schafft man nicht mehr hinterher zu kommen. Und ich befürchte, das wird vielen großen Unternehmen in den nächsten Jahrzehnten so gehen, aber ich wünsche es mir in keinster Weise.
Geropp:
Lars, ich bedanke mich recht herzlich für das wieder mal sehr interessante Gespräch und kann jedem auch nur empfehlen, dein Buch mit dem schönen Titel „Zurück an die Arbeit“. Super Titel.
Vollmer:
Herzlichen Dank Bernd. Hat mir sehr viel Spaß gemacht.
Das inspirierende Zitat
„Eine Reorganisation ist etwas, wozu sich ein Unternehmen entschließt, wenn sich herausstellt, daß es mehr Vorstandsmitglieder als Kunden hat.“
unbekannt
Weiterführende Links
- Lars Vollmer’s neustes Buch:
„Zurück an die Arbeit – Back To Business: Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden.“ - Webseite von Lars Vollmer
- Podcastfolge 45 mit Lars Vollmer im Interview:
„Warum Führungskräfte in komplexen Situationen versagen!“ - Selbstverantwortung oder Abhängigkeit: Interview mit Boris Grundl
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