FPG113 – Wie Schwarmdummheit den Alltag in Unternehmen bestimmt. – Interview mit Gunter Dueck – Teil 2
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In der letzten Podcast-Folge Nummer 112 habe ich mich mit Gunter Dueck über einige Punkte seines neuesten Buches unterhalten.
Der Titel des Buches: Schwarmdumm: So blöd sind wir nur gemeinsam.
Im zweiten Teil des Interviews geht es heute um Dummheit im Management, Politik und der Presse.
Es geht um die Tendenz, dass Korrelationen häufig fälschlicherweise als Wirk- oder Kausalbeziehungen interpretiert werden. Das ist zwar schnell und einfach gedacht, aber meist falsch, denn solche simple Wenn-Dann-Beziehungen, die sind in komplexen Systemen selten. Komplexe Systeme, wie es halt Unternehmen oder Märkte sind.
Wir reden auch über Inspiration und Visionen in Unternehmen und in unserer Gesellschaft und warum solche Inspirationen und Visionen häufig leider fehlen.
Gunter Dueck
Gunter Dueck wird vom Handelsblatt als ein wahrer Querdenker bezeichnet. Er arbeitete als Mathematik-Professor und war bis 2011 Chef-Technologe bei IBM.
Er hat also wirklich reichlich Erfahrung gesammelt mit Hierarchien und er kennt auch das Manager-Dasein mit all seinen Facetten. Er hat mehrere Bücher geschrieben, eine Vielzahl von Preisen erhalten und ist ein gefragter Redner.
Ich habe mich sehr gefreut, dass Gunter Dueck sich ausgiebig Zeit für unser Interview genommen hat. Ich fand unser Gespräch so inspirierend und spannend, dass ich mich entschieden habe, es nicht so stark zu schneiden, sondern daraus zwei Folgen zu machen.
Hier also nun der zweite Teil meines Interviews mit Gunter Dueck.
Hier das transkribierte Interview mit Gunter Dueck – Teil 2
Geropp:
Was mir auch aufgefallen ist, ist diese Denke des Managements bei Wirk- und Kausalzusammenhängen. Also wenn A und B gleichzeitig passiert, dann ist dies eine Korrelation, dann ist da ein Zusammenhang.
Sie schreiben das ist eigentlich der Quell der Schwarmdummheit. Vielleicht können Sie das mal an einem Beispiel verdeutlichen.
Dueck:
Das ist schwer zu erklären. Also im Grunde ist es so, dass wenn man Statistik studiert, wird das immer als Erstes gesagt. Also bitte, wenn Dinge gleichzeitig auftreten, heißt das nicht, dass Sie automatisch korrelieren. Also wenn Mückenstiche und Verzehr von Magnum Eis immer gleichzeitig auftreten. Das liegt einfach am Sommer, denn im Sommer isst man Eis und man kriegt Mückenstiche. Im Winter isst man wenig Eis und kriegt wenig Mückenstiche. Und dann heißt es sozusagen, da ist eine Korrelation.
Man muss darüber nachdenken, was das bedeutet. Das machen die meisten nicht. Die sagen zum Beispiel:
„Aha, es könnte sein, wenn du Magnum-Eis isst, dann ziehst du die Mücken an“
Sie versuchen irgendwie eine plausible Wenn-Dann-Beziehung daraus zu machen. Das ist aber in der Regel nicht der Fall. Ich glaube in 99 Prozent der Fälle ist keine so eine simple Beziehung da. Die machen Sie aber immer.
Man stellt beispielsweise fest, dass Terrorismus in der Regel was mit Islam zu tun hat. Und dann versuchen die Leute eine simple „Pegida“-Erklärung, also wo Islam ist, ist auch Terror. Das stimmt nicht. Das hat andere Gründe. Man muss nachdenken. Also warum ist es so? Und dann kann man sagen, im Nahen Osten sind viele Leute, Gefangene, Kriege, Öl-Interessen. In Afghanistan ist Russland einmarschiert und hat sich ruiniert dran. USA fast auch. Und so weiter. Das sind sehr komplexe Zusammenhänge. Diese komplexen Zusammenhänge werden völlig ignoriert.
Man sagt dann einfach, wenn jemand zum Islam übertritt, wird er auch wahrscheinlich Terrorist gleich demnächst oder irgend so etwas. Diese ganzen Statistiksachen werden völlig missinterpretiert. Man versucht es möglichst einfach zu interpretieren als Kausalzusammenhang.
Zum Beispiel gibt es einen Kausalzusammenhang zwischen dem Gewinn einer Firma und dem Frauenanteil im Management. Ist so. Dann kommen natürlich alle Frauen-Bewegungsrechtlerinnen sofort:
„Siehst du, Frauen können das besser.“
Das ist ein gefundenes Fressen. Dabei könnte das doch daran liegen, dass in bestimmten profitablen Branchen, wie Mode zum Beispiel oder Parfüm, eh viele Frauen da sind.
Anstatt mal darüber nachzudenken, sagt man sofort „Siehst du, Frauen können das besser!“. Die Männer sagen dann,
„Pass auf, wir stellen dann einfach ein paar Frauen ein, dann wird der Gewinn wachsen, weil das so ist.“
Und lauter so stupide Sachen. Heute Morgen erst habe ich eine Meldung gelesen, dass Aldi und Lidl in England auf dem Vormarsch sind. Die rollen gerade dort den gesamten Markt auf. Und irgendeine Wirtschaftszeitung hat dann geschrieben
„Die sind gar nicht billiger, das ist eine Lüge.“
Sie beziehen sich auf eine Studie. In dieser Studie wurde bei 10.000 Leuten untersucht, wie viel die bei Discountern ausgeben. Die Antwort war 240 Pfund im Monat. Dann haben sie die Leute ausgewertet, die jüngst zu Aldi und Lidl gewechselt sind, also nicht mehr Englisch kaufen, sondern quasi Deutsch. Und die geben 235 Pfund im Monat für Discounter aus. Und daraus schließen sie, dass es bei Aldi gar nicht viel billiger ist. Es ist nur 5 Pfund billiger.
Hey Leute, es kann doch sein, dass gerade irgendwelche Pfennigfuchser da hin sind oder dort kaufen. Die geben dasselbe Geld aus, wie vorher, kaufen aber mehr beim Aldi. Es kann auch hunderte andere Gründe geben. Aber da sind wirklich Wirtschaftsfachleute in der Presse, die behaupten: „Es ist gar nicht billiger.“ Die verstehen überhaupt nicht die Zusammenhänge.
Geropp:
Das wäre meine Frage. Verstehen diese Leute die Zusammenhänge wirklich nicht?
Dueck:
Nein. Die sind doof. Ich diskutiere das mit Leuten. Das sind so journalistische Schnellschüsse. Was ich anklage ist, dass damit so in Medienwissenschaften, in Psychologie, Philosophie, Wirtschaft, Volkswirtschaft umgegangen wird.
Geropp:
In der Medizin kann ich mir das auch vorstellen.
Dueck:
Im Medizinstudium wird immer gesagt
„Bei Statistik bitte denkt nach. Das ist nicht reine Mathematik, sondern denkt nach. Und wenn ihr Zahlen vor euch seht, denkt nach.“
Das wird immer gesagt, aber irgendwie ist Statistik- oder Zahlen-verstehen so ein Hass-Fach für Mediziner und Biologen. Wir mussten ja als Mathematiker immer Servicevorlesungen halten. Zugegebener Weise sind von Mathematikern gehaltenen Vorlesungen für Statistik für BWLer oder Statistik für Biologen irgendwie Dienstvergehen.
Geropp:
Sie sind stinklangweilig oder was?
Dueck:
Es ist stinklangweilig. Sie bringen ihnen wirklich nur Mathematik bei. Sätze und Beweise. Aber sie müssten ihnen Denken beibringen. Das wird unterschlagen. Ich kann jeden Tag solche Statistiken sehen, über die ich mich total ärgere. Ich verstehe, dass die Dummheit der Welt irgendwie jeden Tag in die Zeitung gesetzt wird mit solchen Schnellschüssen.
Geropp:
Ich hatte mir eben überlegt: Ich kenne auch ein paar Manager, von denen würde ich sagen, die verstehen das. Aber ich könnte mir vorstellen, dass das, was wir zum Thema Warteschlangen besprochen haben auch dazu führt, dass die Leute so unter Druck sind, dass sie die einfachen Lösungen und Korrelationen verwenden. Einfach um erst mal Ruhe zu haben.
Dueck:
Weiß ich nicht. Es gibt eine ganze Gewerbebranche. Die Berater. Die Berater, die lieben so was.
Geropp:
Richtig, sie haben was davon.
Dueck:
Ein Beispiel: Da kommt also eine Statistik raus, die besagt, dass in Firmen, in denen die Mitarbeiter begeistert sind, der Gewinn höher ist. Darüber kann man jetzt nachdenken. Man kann das relativ leicht erklären, glaube ich. Tolle Firmen sind so, dass die Leute gerne dort arbeiten, stolz sind und so weiter. Ich war lange Zeit sehr stolz bei IBM zu arbeiten, also wo es noch nicht so hart war.
Früher war es bei IBM relaxter. Da war jeder Mitarbeiter stolz zu so seiner Truppe zu gehören. Die meiste Zeit meines Berufslebens war das so. Das war schön. Das kann man auch erklären. Und jetzt liest man also so eine Aussage:
Begeisterte Mitarbeiter arbeiten besser und dann ist der Gewinn höher.
Ich sehe das ja bei den ganzen Konferenzen. Da laufen die ganzen Manager rum und erzählen
„Leute, ihr müsst begeistert sein, das können wir verlangen, dann steigt der Gewinn auch und jetzt macht einfach ein freundliches Gesicht, strahlt vor dem Kunden, hab Ausstrahlung, seid toll und so weiter. Und dann steigt der Gewinn. Ich verlange, Chaca, Chaca.“
So geht das in den ganzen Veranstaltungen, ihr müsst immer so, ja trommeln, lustig sein, begeistern, den Kunden anfassen, küssen und so weiter.
Und dann sitzt da so ein versteinertes Publikum und sagt,
„Wenn du wüsstest, wie wir …“
Geropp:
Ja, das stimmt.
Dueck:
Diese Forderung, ihr müsst begeistert sein, damit der Gewinn steigt, ist eine Idiotie, die auf Statistik beruht. Man hat gelesen, begeisterte Mitarbeiter arbeiten besser. Das stimmt, aber das haben wir ja vorhin diskutiert. Man kann begeisterte Mitarbeiter nicht einfach durch Anschreien begeistert machen. So geht das nicht. Man muss sie einfach nur an Herzensprojekten arbeiten lassen.
Das heißt, wenn ich zum Beispiel anfange, die Mitarbeiter im Konzern zu fördern, zu coachen und das Management mit den Mitarbeitern zusammen bemüht ist, die Mitarbeiter an Herzensprojekten arbeiten zu lassen, wo sie wirklich aufblühen können, dann habe ich begeisterte Mitarbeiter und dann steigt auch der Gewinn. Aber das ist viel Arbeit.
Manche denken irgendwie, man kann das durch eine Ansprache in zehn Minuten machen.
„Ja, also seid begeistert, so ich habe hier die Videomessage, ich kann leider zu euch nicht kommen, wir haben es am Sonntagabend aufgezeichnet, weil ich auch sowieso am Tag eh keine Zeit habe, auch nicht mal Videomessages zu machen und ich gebe euch das mal rüber. Seid begeistert, dann ist das Quartalsergebnis gerettet und ihr kriegt vielleicht auch noch Euren Bonus.“
So ungefähr. Das ist schrecklich.
Geropp:
Wenn ich es richtig verstehe, es ist ja häufig so, dass es in Unternehmen bei solchen Managern keine richtige Vision des Unternehmens mehr gibt. Das Warum fehlt, wo die Leute ankoppeln können und dadurch inspiriert werden könnten.
Sie schreiben, dass wenn eine Vision fehlt, eine Spirale der Schwarmdummheit ausgelöst wird. In Ihrem letzten Kapitel gehen Sie nicht nur auf dieses Problem in Unternehmen ein, sondern sie beziehen es auch auf unsere Gesellschaft. Das fand ich sehr nachdenkenswert.
Eigentlich braucht unsere Gesellschaft wieder eine Vision. Die meisten Unternehmensvisionen sind leider austauschbar. Das heißt, da kann ja gar keine Inspiration mehr da sein. Oder es ist eine Inspiration, eine Vision, die nur in einem Teilbereich eines Unternehmens noch gelebt wird. Dann kann ich mir dort vorstellen, z.B. bei kleinen Unternehmen, das noch wirklich etwas umgesetzt wird, dass man wieder inspiriert mitarbeitet. Aber in großen Unternehmen, gerade wenn am Aktienmarkt, stelle ich mir das schwer vor, weil nicht mehr eine treibende Person mit Vision da ist. Ausnahme ist vielleicht so ein Steve Jobs, aber der hatte auch Anteile an der Firma. Er hat die Firma maßgeblich unternehmerisch geführt. Wenn aber sojemand nicht da ist, wenn da nicht der Visionär ist, dann gibt es nur Leute, die sagen:
„Das Wichtige ist, dass wir zehn Prozent wachsen“.
Das aber interessiert die Mitarbeiter nicht. Als Mitarbeiter eines solchen Unternehmens agiere ich dann auch nur monetär. Dann brauche ich mich aber auch nicht zu wundern, wenn Schwarmdummheit passiert.
Dueck:
Na gut. Im Grunde müsste man genügend Steve Jobs in so einem Volk haben. Wir haben die freie Auswahl bei 80 Millionen Menschen.
Geropp:
Ja, aber kommen die hoch in einem großen Unternehmen?
Dueck:
Ja, schwierig. Das ist eine schwierige Sache. Da muss man eigentlich Artenvielfalt zulassen. Also wenn ich jetzt auf meine ätzende Art wieder so einen Spruch ablasse…
Geropp:
Also nur zu, ich freue mich darauf.
Dueck:
Man wird Abteilungsleiter und dann sagen sie:
„Gehorche, gehorche, gehorche!“
und wenn man das gut macht, wird man Hauptabteilungsleiter:
„Gehorche, gehorche, gehorche!“
dann wird man Bereichsleiter
„Gehorche, gehorche, gehorche!“
Vizepräsident
„Gehorche, gehorche, gehorche!“
Und dann wird man General Manager und dann sagen alle:
„Nun mach mal was!“
Geropp:
Ja und jetzt sei Visionär.
Dueck:
Ja.
Geropp:
Kann nicht gehen.
Dueck:
Nein, aber in der Politik ist das ja auch so. Ich werde Kreisvorsitzender und gehorche, gehorche und so weiter. Dann werde ich Hinterbänkler-Abgeordneter und dann ist ein Ministerposten frei und jetzt gestalte mal.
Dabei kann das eigentlich nur richtig gut gehen, wenn jetzt alle irgendwie an dem Gestalten auch Teil haben. Dann muss man irgendwie aber natürlich auch die Fraktionsdisziplin bisschen laxer sehen. Jeder sollte mal eine andere Meinung haben dürfen, als der Seehofer in Bayern und so. Der muss dann nicht gleich in den Stiefel gestellt werden.
Das impliziert natürlich eine andere Kultur. Aber diese Kultur der Fließbandarbeit, sozusagen dieser totalen Auslastung und dieser starken Kontrolle ist dafür nicht geeignet. Das nennt sich ja „Command und Control“.
Man möchte zwar „Command and Control“ ersetzen durch Coaching und die Mitarbeiter blühen lassen, aber die Manager trauen sich nicht so richtig. Für viele Leute ist es einfacher zu sagen
„Ich lerne für jeden Tag meine 100 Vokabeln für den Vokabeltest und kriege eine Vier minus.“
Die Einser-Version wäre aber
„Lerne doch einfach Englisch.“
Die ist auch relativ leicht zu erfüllen. Wenn ich sage:
„Ich will jetzt Englisch lernen.“
dann ist klar, dass ich mich vor einen englischen Fernseher setze und gucke einfach mal einen Monat nur Englisch. Dann kann ich es wahrscheinlich oder ich habe so ein Gefühl für den Klang der Sprache. Ich lerne das viel schneller.
Das bedeutet, wenn ich einfach das echte Ziel nehme, die Vision „Ich will Englisch lernen“, damit ich dann später in Kalifornien studiere“ das ist eine ganz andere Frage, als wenn ich jetzt so viel Deutsch können möchte, dass ich gerade den Ausländertest bestehe.
Im Grunde managed man heute so auf dieser methodischen Ebene, dass sich die Leute zum nächsten Vokabeltest hin prügele. Das ist aber eine andere Frage. Die eine Frage ist, „Bestehe ich die Führerscheinprüfung?“ Oder die andere ist, „Kann ich gut fahren?“ Das meine ich mit Vision.
Geropp:
Glauben Sie nicht, dass die meisten großen Unternehmen so eingefahren sind, in dieser Schwarmdummheit gefangen, dass es sehr, sehr schwer wird, das aufzubrechen?
Werden die das überhaupt schaffen?
Dueck:
Nein. Man kann es wahrscheinlich eher nicht aufbrechen, aber man muss es irgendwie schaffen über Firmenkulturen nachzudenken und schwarmintelligent werden.
Es geht gar nicht so sehr um eine Idee oder einen Umbruch schaffen. Man muss die Firma auf Dauer umbruchfähig halten. Dann kann sie das immer schaffen zu jeder Zeit. Ich muss sie fähig dazu halten. Da guckt keiner. Die sagen:
„Also ich mache die Firma Fließband fertig!“
Keiner schaut mehr rechts und links. Das Unternehmen lässt man auf dem schwarmdummen Pfad wandern. Ständig macht man Execution, Execution, Execution und dann kommt ein Umbruch. Dann aber ist die Firma Umbruch unfähig.
Ich muss die Firma irgendwie lebhafter halten, unruhig. Wie Lou Gerstner, der Ex-Chef von IBM. Er hat das Buch geschrieben „Wer sagt, dass Elefanten nicht tanzen können“.
Geropp:
Schöner Titel!
Dueck:
Das ist der Buchtitel. Es geht darum, wie man eine große Firma in einer gewisse Unruhe hält. Ich habe das auch mitgemacht. Ich habe Lou Gerstner ein paar Mal erlebt. Ich bin einer von den 300 der IBM-Academy gewesen.Da hat sich der Vorstand wirklich mal gezeigt. Jedes Jahr.
Nicht einfach so, „Hallo“, Extra-Meile und ich zähle auf euch“, so dieses übliche Blabla, sondern er hat gesagt, dass er von uns will, dass wir das in die Hand nehmen. Wenn Sie so eine Rede von ihm gehört haben, dann kriegen Sie Gänsehaut.
Ich kann mich noch erinnern: Es waren etwa 500 Leute im Raum. Also 300 und noch Stabsmitarbeiter und so. Dann machte er eine Kunstpause und sagte
„Ich habe mir angesehen, was ihr letztes Jahr so gemacht habt.“
Pause einundzwanzig, zweiundzwanzig,
„Ihr habt vernünftig angemessen gearbeitet.“
Kunstpause. Und dann haben wir gesagt,
„Oh, er ist wohl nicht zufrieden.“
und er hat gesagt, er will, dass wir das wirklich in die Hand nehmen und nicht nur einfach unsere Pflicht tun.
„Ich möchte, dass ihr die Verantwortung übernehmt und wenn wir euch überbelasten und schimpfen, dass wir das nicht wollen, das müsst ihr ignorieren. Leute, es ist normal, dass man sich streitet und ihr müsst nicht irgendwelchen Konfrontationen aus dem Weg gehen.“
Zum Schluss hat er dann gesagt – das weiß ich auch noch ganz genau – kurze Pause und dann:
„I want you to go home. I want you to go home and you perform this“
und dann erstens, zweitens, drittens und jetzt macht mal. Das ist anders. Das ist nicht, „Geht die Extrameile“, sondern
„Leute, ihr seid die Abgesandten, ihr seid das technologische Gewissen einer großen Firma und ich möchte, dass ihr das in die Hand nehmt. Ihr habt meine Rückendeckung, wenn ihr jetzt auch mal irgendwas anstellt oder so“.
Geropp:
Hatten sie die Rückendeckung danach?
Dueck:
Hatte ich immer.
Geropp:
Okay. Dann kann so etwas funktionieren.
Dueck:
Also ich hatte irgendwie immer Chefs, die mir Rückendeckung gaben. Es war nicht ohne Konflikt oder so, das ist klar. Deswegen habe ich mich auch so als Blitzableiter, als Querdenker dann kapriziert. Dann kann man immer noch sagen:
„Der spinnt ein bisschen, nun lass ihn mal“
oder so, aber im Grunde war es immer so, dass man auch Rückendeckung hatte. Im Grunde muss man dann irgendwie dann als Technologe oder Ingenieur nicht Besserwisser sein oder alles am besten können. Das ist ein falsche Eindruck, sondern man muss auch Kreuz haben, tapfer sein. Also man muss ein gewisser Unternehmertyp sein und wenn das Management sagt:
„Das machst du aber nicht.“
dann sage ich:
„Aber doch.“
Geropp:
Mir hat mal einer gesagt,
„Guter Manager sein heißt, accept to get fired.“
Abschließend Herr Dueck, wenn wir über Schwarmdummheit, über Management sprechen, was ist Ihr wichtigster Tipp für eine Führungskraft, die im Konzernumfeld mit Schwarmdummheit konfrontiert wird? Wie soll sie damit umgehen, um mittel- und langfristig erfolgreich und erfüllt zu sein?
Dueck:
Schwer zu sagen. Ich habe nach jedem Kapitel im Buch reingeschrieben, warum es gar nicht so einfach ist.
Geropp:
Ja, das stimmt.
Dueck:
Wenn jetzt zum Beispiel da Leute sitzen, die wollen im Medizinstudium nur ihr Physikum schaffen oder nur die Führerscheinprüfung schaffen und egal mit wie viel Fehlern.
Oder ich bin in einer Mathematik-Vorlesung und sage, die Hälfte der Punkte für einen Schein reicht. Das heißt, ich muss die leichten Aufgaben , also die „Low-Hanging-Fruits“, die muss ich irgendwie abpflücken und tue nur das Nötigste und dann kriege ich ein Diplom. Das ist ein bisschen schwarmdumm.
Schwarmintelligent wäre,
„Im Beruf muss ich Mathematik wirklich können. Es geht nicht darum, dass ich immer nur die einfachen Aufgaben kriege und die schweren Aufgaben versemmle. Ich kriege auf diese Weise zwar 50 Prozent der Punkte, ich kriege jeden Übungsschein und ich kann dann auch irgendwie eine Diplomarbeit mit drei schreiben. Ich kriege auch mein Diplom. Ich kann vielleicht sogar einen Doktor durch Absitzen noch hinkriegen. Aber ich habe an keiner Stelle jemals Mathematik gelernt. Nie. Ich habe auch nie über meine Begabung nachgedacht. Habe nie gern gearbeitet.“
Diese Leute sind dann im Berufsleben nicht so richtig brauchbar oder sind die Basis für Schwarmdummheit. Wenn ich jetzt als Einziger in so einem Team bin und sage, „Nein, ich will was machen….“
Geropp:
Will erstklassig sein.
Dueck:
Ich will einfach was machen und auch die schweren Aufgaben rauskriegen und so. Dann sagen sie, „Ja, komm, lass das“. Man ist dann auf einer einsamen Position. Es ist aber nicht verboten das zu machen. Man kann das tun. Man kann auch die Leute dazu kriegen.
Geropp:
Also man kann die Leute verändern, meinen Sie?
Dueck:
Ja, ich habe bei IBM eine Optimierungsabteilung gehabt. Dort haben wir Industrieoptimierung gemacht. Ich habe gesagt:
„Könntet ihr nicht vielleicht mal eure Ergebnisse für Flüge oder irgendwas auf billige, auf kleine Probleme anwenden, die in der Mathematik als Forschungsproblem auftreten. Die gibt es im Internet. Da gucken wir dann mal, ob wir mit unseren Algorithmen nicht auch nebenbei Weltrekordergebnisse machen. Wenn wir mit unseren Algorithmen nicht nur gut sind für das, was wir dem Kunden in Rechnung schreiben, sondern nebenbei vielleicht auch Weltrekorde bei Mathematikproblemen erreichen können, dann wäre das eine gewisse Sicherheit, dass unsere Algorithmen auch wirklich gut sind.“
Dann sagen sie:
„Komm, das kannst Du nicht verlangen, wir machen jetzt gerade unser Projekt.“
und dann haben wir lange Diskussionen gehabt. Wir haben das aber geschafft, also, die ersten Leute haben dann doch nach bisschen Maulen Wissenschaftsartikel geschrieben und waren erfolgreich.
Viele Jahre später kam mal jemand zu mir und hat gesagt:
„Du, wir haben dich gehasst. Du hast uns gleich immer angemeldet zum Team des Monats, dass wir auch einen Award kriegen obwohl wir sagten, „wir sind noch gar nicht so weit. Der fängt schon an unsere Erfolgsstory zu verkaufen. Der macht uns ganz nervös.“
Ich habe gesagt:„
„Leute, ich versuche das so, damit ihr merkt, welche Kraft in euch steckt.“
Die haben die Kraft in sich entdeckt und haben gemerkt, dass sie richtig gut sind. Manche sind auch sehr hoch befördert worden, haben verantwortungsvolle Positionen inzwischen und haben gesagt,
„Als wir gemerkt haben, dass wir diese Kraft haben und auch so gut sind, das hat uns richtig Spaß gemacht. Das war schön. Das war richtig schön.“
Und das kann man reinkriegen auch als Abteilungsleiter. Es gibt immer ein bisschen Abrieb.
Meine Abteilung hieß Technologie für Optimierung. Darüber habe ich lange nachgedacht. Der Name ist jetzt irgendwie so völlig unschuldig. Der musste in Englisch auch genauso sein. Technology for Optimization und die Abkürzung war einfach TOP. Damit hießen dann die Mitarbeiter halt alle TOPS. Dann habe ich versucht, jedem einzuimpfen, dass alle top sind und in gewissen Grenzen ist das auch gelungen. Es ist ein richtiges Team zusammengewachsen.
Es kommen dann auch andere Leute, die sagen:
„Bei euch wollen wir mitarbeiten.“
Dann kriegt man auch die besseren Leute und dann kommt so ein Schwarm zusammen, der sagt:
„Wir wollen das heben“.
Das ist nicht so einfach. Als Chef braucht man so zwei, drei Jahre bis man das so alles hat. Es ist wichtig, dass die eigenen Leute einen nicht verdächtigen, dass man sie kreuzigt, wenn sie keinen Weltrekord machen. Es geht einfach nur darum, dass man sagt:
“Wir können das schaffen, wir haben die Kraft, wir können und es ist nicht Pflicht.“
Ich habe nicht gesagt, dass ich am Ende das Quartalsergebnis haben will. Das ist ja nicht der Punkt gewesen. Man muss rumlaufen und fragen:
„Was macht ihr da gerade.“
Man muss sich interessieren für die Mitarbeiter. Also nicht im Sinne der Controller. Die laufen immer herum:
„Wie weit seit ihr? Habt ihr keine Schulden gemacht. Ist der Zeitplan eingehalten?“
Nein, man muss einfach sagen, wenn jemand nicht so richtig in einer Sache weiterkommt, dass man vielleicht ein Kolloquium dafür ansetzt oder berühmte Leute einlädt oder ein Team-Meeting macht über diese Sachfrage. Man fragt, ob andere helfen können.
Das Management von „Command und Control“ ist da ganz anders. Und das muss man dann aushalten. Wir hatten auch Konflikte in meinem Team mit dem Festgehalt. Es ist sehr schwer Coaching zu machen, wenn man Boni vergeben muss. Dann muss man so wie in der Schule einem eine Eins geben und einem eine Vier. Die Noten müssen in Form einer Glockenkurve verteilt sein und dann kommt noch diese Bonus-Problematik, die das Command und Control-System braucht. Dann ist es sehr schwierig die Kurve zu kriegen, wenn man seine Leute coachen will. Da ist es besser, das Gehalt spielt keine Rolle,.Wenn man in einem Command und Control System managed und das anders haben will, dann gibt es an vielen Stellen Inkompatibilitäten mit diesem System. Da muss man das Kreuz haben und kriegt was ab. Aber es geht.
Geropp:
Also, wenn ich das richtig zusammenfasse.
Dueck:
Es geht.
Geropp:
Es geht. Ich muss aber manchmal das System austricksen. Ich muss Rückgrat zeigen. Ich muss, wenn es irgendwie geht, inspirierend sein und meine Aufgabe ist es, meine Mitarbeiter zu unterstützen, das Beste aus denen herauszuholen, aber in einer Art Coaching, nicht mit Peitsche. Also quasi die Motivation, die die meisten Leute haben, unterstützen.
Dueck:
Ja. Genau. Ich meine, man braucht da mindestens ein halbes Jahr, vielleicht sogar noch länger. Wenn man neue Mitarbeiter bekommt, sollte man denen helfen, coachen:
„Hey, das war jetzt nicht so gut, pass mal auf, bei der Präsentation machst du das so, so, so.“
In einem normalen Command und Controlsystem ist der Mitarbeiter völlig depressiv und sagt
„Das bedeutet also im Klartext meine Gehaltserhöhung ist gestorben für dieses Jahr“.
Ich brauche ein halbes Jahr um Vertrauen mit dem neuen Mitarbeiter aufzubauen. Es braucht Zeit bis sie verstehen, dass sie sich das nur merken sollen, sie sollen mehr emotionale Intelligenz beim Kunden entwickeln, sollen den Fehler einfach beim nächsten Mal nicht machen. Das ist eine Schulungsmaßnahme oder Coaching-Maßnahme. Es klingt so wie an den Ohren ziehen. Es ist aber nicht an den Ohren ziehen, sondern ich lasse es zu.
Geropp:
Sie sollen lernen.
Dueck:
Sie sollen lernen und sollen erblühen. Und ich muss versuchen, latentes Misstrauen abzubauen. Es darf nicht als Kopfnuss aufgefasst werden. Allein das braucht ein halbes Jahr. Es braucht Zeit bis die Leute einem vertrauen. Man muss lange drüber reden.
Geropp:
Das passt wunderbar. Ich sehe das sehr ähnlich wie Sie.
Ich möchte mich herzlich bei Ihnen bedanken. Es war ein tolles Interview. Ich habe wieder viele schöne Eindrücke bekommen. Herzlichen Dank.
Dueck:
Ja, kein Problem, hat auch mir Spaß gemacht.
Soweit der zweite Teil meines Interviews mit Gunter Dueck.
Wenn Sie mehr über Gunter Dueck erfahren möchten, empfehle ich Ihnen seine Webseite www.omnisophie.com. Dort finden Sie auch seinen lesenswerten Blog „Daily Dueck“.
Das inspirierende Zitat
„Lass dich nicht davon abbringen, was du unbedingt tun willst. Wenn Liebe und Inspiration vorhanden sind, kann es nicht schief gehen.“
Ella Fitzgerald
Weiterführende Links
- Das neuste Buch von Gunter Dueck: „Schwarmdumm – So blöd sind wir nur gemeinsam!“
- Webseite von Gunter Dueck: Omnisophie
- Mehr Information über Gunter Dueck
- Wikipedia zu Gunter Dueck
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